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50mm-Achtsamkeit

Vor ca. 40 Jahren habe ich meine erste Spiegelreflexkamera gekaut, ein russisches Modell ohne irgendeine Automatik und dazu eine 50er-Festbrennweite mit M42-Gewinde. Mehr war für mich als Student nicht drin. Damit habe ich mir das Fotografieren beigebracht und auch viele Jahre ausschließlich damit fotografiert. In der klassischen Kleinbild-Fotografie war das 50mm Objektiv das übliche Normalobjektiv, weil es dem menschlichen Blickfeld entspricht.
Vor einigen Jahren habe ich mir  zu meinen Zoomobjektiven wieder mal ein 50er gekauft, es war preiswert und ich hatte das Gefühl, ich bräuchte so etwas. Seither lag es aber weitgehend im Schrank. Zoomobjektive sind ja "soviel praktischer". Im Zusammenhang mit meiner achtsamen Alltagspraxis kam mir jetzt aber die Idee Mal mit diesem Objektiv zu meinen fotografischen Wurzeln zurückzugehen. Durch den Cropfaktor ist es zwar jetzt ein leichtes Tele, aber den Versuch war es wert. Kurz vor Weihnachten startete ich den Versuch und seit diesem Zeitpunkt ist nur das 50er an meiner Kamera und sorgt für spannende Erfahrungen und intensiviert die Achtsamkeit beim Fotografieren. Ich muss mir das Motiv im wahrsten Sinne des Wortes erlaufen. Das Zoomen geschieht jetzt durch meine Füße und das führt zu einer intensiveren und sehr achtsamen Auseinandersetzung mit dem Motiv. 

Das Zoomen geschieht jetzt durch meine Füße und das führt zu einer intensiveren und sehr achtsamen Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Motiv. Mein Blick ist sehr viel offener und sieht noch mehr Varianten. Es macht richtig Spaß, sie auszuprobieren. Ich bleibe viel länger an einem Motiv, und es entstehen interessanterweise deutlich weniger Bilder. Aber es gibt auch weniger Ausschuss, weil die Bilder einfach intensiver erarbeitet wurden.

 

Zusätzlich sind die Festbrennweiten in der Regel durch ihre offenere Anfangsblende auch noch lichtempfindlicher und ermöglichen eine deutlich kleinere Tiefenschärfe. Und gerade das Spiel mit der Tiefenschärfe macht das Ganze noch spannender. Jetzt bewusst einen eng begrenzten Schärfepunkt zu setzen und mit einer großen Unschärfe zu spielen, lässt mich viel intensiver und dadurch auch achtsamer fotografieren. Da ich bewusst keine Vollformatkamera möchte, spiele ich schon mit dem Gedanken mir ein 35er zuzulegen, was dann durch den Cropfaktor einem Normalobjektiv entsprechen würde. Ich kann euch nur raten, es auch einmal auszuprobieren. Ich kann euch versichern, ihr werdet staunen. Das ist nicht nur eine Achtsamkeitsübung, das ist ein neues Fotografieren.

 

P.S.: Detlef Stietzel hat mir dankenswerterweise per Mail noch zwei wichtige und hilfreiche Hinweise geschickt, die seinen u. a. Kommentar ergänzen:

  • Durch die Bewegung ändert man auch die Perspektive und wie bekannt, nicht durch Zoomen. 
  • Nicht zu vergessen, dass die Objektive durch Abblenden um 1-2 Stufen ihre beste Qualität erreichen. Hier sind die Festbrennweiten mit großer Anfangsöffnung uneingeschränkt im Vorteil.