Bei meiner Beschäftigung mit Henri Carter-Bresson bin ich ja in der vergangenen Woche auf das Buch "Zen in der Kunst des Bogenschießens" von Eugen Herrigel gestoßen. Inzwischen habe ich mir das Buch oder besser gesagt das Büchlein besorgt. Es wurde erstmals 1948 (!) veröffentlicht. Ich habe eine Ausgabe aus 1987 in der 27. Auflage gefunden. Das Buch ist eine Meilenstein im westlichen Verständnis des Zen und auch heute noch höchst aktuell. Eugen Herrigel lebte "erbärmlich" als Privatdozent in Heidelberg, lernte dort japanische Studenten kennen, die ihn mit dem Zen in Verbindung brachten. Er wünschte sich dann konkrete Erfahrungen und nahm für fünf Jahre eine Professorenstelle für Philosophe an einer japanischen Universität an. Sein Bemühen um den Zen stieß aber auf Widerstand, man glaubt dort nicht, dass ein intellektueller Europäer für den Zen geeignet sei. Er blieb hartnäckig und man gestand ihm schließlich zu eine Kunst zu erlernen, die vom Geist des Zen lebt, das Bogenschießen. Der Meister zeigte ihm schließlich den Bogen und wie die Bogensehne gezogen wird, soweit es der Bogen zulässt. Dann schließe sie das All mit ein, erklärte er. Deshalb sei es wichtig zuerst das richtige Spannen zu üben. Herrigel übte verbissen Woche um Woche, erreichte aber nicht einmal annähernd die Lockerheit des Meisters beim Bogenspannen. "Sie können es nicht, weil Sie nicht richtig atmen." klärte ihn der Meister schließlich auf. Dann zeigt er ihm wie nach dem Einatmen der Atem sachte nach unten gedrückt wird, bis die Bauchdecke sich mäßig spannt. Nach kurzem Festhalten solle der Atem dann langsam und gleichmäßig wieder ausgeatmet werden, um zu nach einer kurzen Pause wieder mit dem Einatmen zu beginnen, einem Aus und Ein, dessen Rhythmus sich allmählich selbst bestimmen werde. Mit dieser Atmung werde ihm das Bogenschießen immer leichter fallen. Und mit dieser Atmung entdecke er auch den Ursprung aller geistigen Kraft, die um so besser fließe, je gelockerter er sei. Dieses Üben fiel Herrigel sehr schwer. Der Meister warf ihm vor, dass er sich zu sehr um Lockerheit bemühe, er solle einfach atmen, als ob er nichts anders zu tun habe.
Nach langer Zeit des Übens gelang es ihm schließlich einmal, sich unbekümmert in die Atmung fallen zu lassen. Er atmete nicht mehr, er wurde geatmet. Es geschah mit ihm. Die Frustration dies auch im Bogenschießen zu erreichen trieb ihn aber fast zu Verzweiflung. Seine Zeit in Japan neigte sich dem Ende zu, es gab keinen Fortschritt. Irgendwann berührte es ihn nicht mehr, es war ihm einfach egal, ob er es lernte oder nicht. Alles war ihm gleichgültig, sein Herz hing an nichts mehr. Wochen vergingen, ohne dass er auch nur einen Schritt weitergekommen wäre. Plötzlich, eines Tages, nach einem Schuss verbeugte sich der Meister: "Soeben hat Es geschossen." Das sei aber kein Lob, nur eine Feststellung und er solle weiterüben, als ob nichts geschehen wäre.
Das Buch ist hier noch nicht zu Ende, es dringt noch weiter in den Zen, jetzt kommt z. B. noch das selbstlose Zielen auf eine Scheibe. Ich selbst habe durch die Lektüre einiges über den Zen erfahren, ob ich ihn verstanden habe, wage ich zu bezweifeln. Dennoch kamen mir beim Lesen immer wieder Parallelen zum Fotografieren in den Sinn, nicht nur das Atemanhalten, das ich schon im vorhergehenden Beitrag angesprochen habe. Hier kommt ja auch die Achtsamkeit ins Spiel, die auch dem Atem in ihren Mittelpunkt stellt. Wie oft habe ich beim Erlernen und Üben der Achtsamkeit gehört.: "Es atmet dich" und wie lange habe ich gebraucht, um das einmal zu erleben. Auch die Beherrschung des Bogens, das Spannen, das Zielen und das Loslassen haben viel mit der Fotografie gemeinsam. Ins Schwarze zu treffen, das ideale Bild aufzunehmen - wie schwierig oder sogar fast unmöglich ist das doch. Das immerwährende Bemühen, das nicht Aufgeben und frustriert die Kamera beiseite legen, weil an einem Tag oder sogar über Wochen und Monate nur belanglose Bilder entstanden sind. - welche ernsthafte Fotografin, welcher ernsthafte Fotograf kennt das nicht. Nicht aufgeben, immer wieder üben, die eigene Kamera sehr genau kennen, vielleicht kann uns das der Zen lehren.