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Wer ist Inge Werth? - Ein Geheimtipp

Inge Werth ist eine leider weniger bekannte, aber dennoch großartige Fotografin/Fotojournalistin, die sich neben ihren Kolleginnen wie Barbara Klemm oder Abisag Tüllmann nicht zu verstecken braucht. Ich durfte diese Grande Dame der Fotografie - über ihr Alter spricht sie nicht gerne - bei den Fürstenecker Fototagen kennen lernen. Sehr angenehm in ihrer eher zurückhaltenden uneitlen Art, aber höchst interessiert und sehr direkt und konkret nachfragend, besuchte sie uns am ersten Tag in unseren Workshops. Ich hatte das Vergnügen im Workshop Foodfotografie beim Paella-Verkosten - Wir durften das, was wir fotografierten, auch probieren - neben ihr zu sitzen. Wir unterhielten uns sehr angeregt über die Fotografie, aber auch über unsere gemeinsamen Hüftprobleme. Alleine dieses Gespräch war schon ein großes Erlebnis. Abends gab sie dann im Gespräch mit Michael, einem der Leiter der Fototage, Einblicke in ihr aufregendes Leben. Nach einer Ausbildung als Anwaltsgehilfin, begann sie in den 60er Jahren zu fotografieren, nachdem ihr eine Kamera geschenkt worden war. Sehr schnell stieg sie ins Profigeschäft ein und arbeitete bald für bekannte Magazine und Zeitungen wie z. B.  „Pardon“, „FAZ“ und „Zeit“.  Prominente wie Mick Jagger oder Jimmy Hendrix wurden von ihr porträtiert. Bei ihren Reportagen auch in Krisengebieten war sie weltweit unterwegs. Die revolutionären 68er begleitete sie sehr intensiv, vor allem in Paris. Mit Bildern von ihr aus dieser Zeit wurde gestern eine Ausstellung im Frankfurter Museum Giersch eröffnet. Ich wäre gerne dabei gewesen, aber eine heftige Kopfschmerzattacke hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich möchte die Ausstellung auf jeden Fall noch besuchen, sie läuft noch bis zum 14. Oktober. Nach den heutigen Rezensionen soll sie sehr sehenswert sein.

 

1968 war ich zwar erst 15, aber dennoch habe ich einiges aus dieser Zeit miterlebt. Auch ich hatte eine Maobibel, trug eine lange Mähne, und 1972 verweigerten wir uns einer offiziellen Abiturfeier und holten unsere Zeugnisse einfach im Schulsekretariat ab. Sicherlich war das eine Folge der 68er. Auch beim Studium war es mir wichtig, mich aktiv als Fachschaftssprecher einzubringen, was mir nicht immer zugute kam. All das kam mir gestern, als ich mit Kopfschmerzen zuhause lag, wieder ins Bewusstsein. Es waren damals auch für mich spannende und interessante Jahre, die mir viel für mein weiteres Leben brachten. Diese schönen Erinnerungen habe ich jetzt Inge Werth zu verdanken, auch wenn ich es nicht zur Ausstellungseröffnung schaffte. Sie hat mich in Fürsteneck sehr beeindruckt. Ihr großes Interesse, ihre positive Neugier auch in ihrem stolzen Alter kann nur Vorbild sein.

 

Gestern Abend - nachdem sich die Kopfschmerzen mithilfe starker Medikamente etwas gelegt hatten - schaute ich mir mal wieder die Bilder in ihrem genialen Bildband "Im Bett" an, das Ergebnis eines spannenden Langzeitprojektes über mehr als 20 Jahre hinweg. Unter dem etwas zweideutigen Titel zeigt sie Menschen in ihrem intimsten Aufenthaltsort - dem Bett - aber ohne jeglichen Voyeurismus. Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlichster Lebensart und Gesinnung öffneten ihr die Schlafzimmertür. Das verlangte sehr viel Ausdauer, Einfühlungsvermögen und sicherlich auch sehr viel Achtsamkeit von ihr und vor allem ein starkes Vertrauen von seiten der Fotografierten, alleine das ist schon beneidenswert. Die Bilder, die nicht unterschiedlicher sein könnten, fordern intensives Betrachten und lösen die unterschiedlichsten Empfindungen in mir aus, von totaler Empathie und Mitleid bis hin zu einem Schmunzeln oder sogar herzhaften Lachen. Jedes Bild gibt Einblicke in eine spannende Lebenswelt. Der Bildband ist einfach sehenswert. Ich besitze viele Fotobände, dieser ist sicherlich einer der besten. Im Buchhandel ist er nicht mehr zu bekommen, aber antiquarisch ist er noch erhältlich, z. B. hier: https://www.amazon.de/Im-Bett-Fotografien-Inge-Werth/dp/3870383267/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1533926420&sr=8-1&keywords=Inge+werth.

 

In Fürsteneck hatte sie 30 Bilder davon mitgebracht, die gerade von einer Ausstellung in Moskau zurückgekommen waren, und wir hatten so für einige Tage eine kleine und aber feine Privatausstellung. Beim gemeinsamen Rundgang durch diese Ausstellung berichtete sie auch sehr viel über den jeweiligen Hintergrund der einzelnen Bilder, einfach hochinteressant und spannend.  Jedes Bild erzählt eine Geschichte, das ist ihr auch wichtig. Die Atmosphäre rüberzubringen ist ihr großes Anliegen, die Schärfe dagegen ist für sie da eher zweitrangig (!). Hin und wieder schaffe ich es ja auch, in einem Bild eine Geschichte zu erzählen, aber bei weitem nicht in dieser Genialität. Für mich ist dieses Buch auch ein Anreiz, öfter mal ein fotografisches Projekt anzugehen und dabei zumindest etwas von der Ausdauer einer Inge Werth zu haben. Diese großartige Fotografin sehr persönlich kennengelernt zu haben, ist für mich ein großes Geschenk. 

 

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Das Bild stammt aus dem Workshop "Foodfotografie". Es zeigt die Paella, die ich gemeinsam mit Inge Werth verkosten durfte. Natürlich habe ich auch Inge Werth fotografiert. Aber ohne ihr Einverständnis möchte ich keines dieser Bilder veröffentlichen.