Ich kann mich noch gut an die ersten Schritte unserer beiden Töchter erinnern. Wackelig standen sie auf ihren zwei Beinen, zuerst ging es los an der Hand der Mutter, schon das forderte Vertrauen und auch ein gewisses Selbstbewusstsein. Die ersten eigenen Schritte ohne Hilfe waren dann ein großes Erlebnis, begleitet von Überraschung und Freude, auch bei uns Eltern.
Dabei ist sicherlich wieder einmal der berühmte Anfängergeist erkennen, von dem in der Achtsamkeit immer wieder zu hören und zu lesen ist. Sich auf etwas einlassen, Neues wagen, neugierig sein - Diese Erfahrungen sind auch für uns Erwachsene wichtig. Etwas wieder wie ein Anfänger, eine Anfängerin zu erleben, sich wieder in solche Situationen hineinzuversetzen, prägt ganz wesentlich unsere Achtsamkeit.
Nach meiner Hüft-OP war ich ja erst einmal auf Krücken angewiesen. Einen Schritt ohne diese Hilfen zu machen habe ich mich anfänglich nur getraut, wenn ich mich irgendwo halten konnte oder zumindest
ein Halt in greifbarer Nähe war. Mehrere Schritte ohne Krücken zu machen habe ich mich aber
erst nach drei Wochen wirklich getraut und auch da erst an der Hand meiner lieben Frau, die mir so vertrauenschenkend zur Seite stand. Mich immer weniger festhaltend habe ich dann nach einigen
Wohnzimmerdurchquerungen losgelassen und es alleine probiert. Es hat sofort geklappt, mir kamen richtige Freudentränen und eine große innere Begeisterung. Es war wie eine Neuentdeckung, da
habe ich den Anfängergeist mal wieder so richtig intensiv in mir erlebt. Es war einfach fantastisch.
Es gab dann in den vergangenen Tagen weitere Anfängererlebnisse, z. B. die Treppen im Haus ohne Krücken zu erobern. Gestern fiel mir beim Abwärtslaufen auf der Treppe plötzlich auf, dass ich die
beiden Beine auch wie vor der OP abwechselnd einsetzte und nicht die operierte Seite schonte. Schon wieder kam ein Lächeln auf meine Lippen und ich musste es freudestrahlend sofort meiner Frau
berichten. Gestern Abend wollte ich dann auch treppauf ganz normal laufen, aber der Kopf hat das einfach verhindert. Heute Morgen dann geschah es ganz automatisch, intuitiv ohne Nachdenken. Im
Treppenlaufen habe ich plötzlich bemerkt, dass ich ja das mache, was noch gestern Abend vom Kopf her ummöglich war. Da musst ich doch mal wieder heftig grinsen.
Ich habe mir vorgenommen mich wieder öfter in diesen Anfängergeist, dieses Intiuitive und Ungeplante, hineinzuversetzen, wo nicht alles so alltäglich und gewohnt
ist:
- Wo ich Neues, aber auch Gewohntes wie neu erleben kann,
- wo ich immer wieder wie ein kleines Kind etwas wagen und staunen kann,
- was meine Erfahrungen reicher werden lässt,
- und was meine Gegenwart, dieses Jetzt so intensiv macht.
In meinem Fotografieren werde ich das hoffentlich in der nächsten Zeit auch erleben. Meine Kamera nach mehreren langen Wochen des Verzichts mal wieder intensiv einsetzen, den
hoffentlich bald erscheinenden Frühling fotografisch neu zu erleben, mich wieder in der geliebten Streetfotografie auszutoben, weitere vergessene Orte zu erkunden - All das sind Chancen den
Anfängergeist wieder zu erleben. Dazu braucht es nicht unbedingt immer wirklich Neues, keine neue Kamera, kein neues Objektiv. Sich einfach wieder in das Anfängerstadium hineinversetzen, in sich
das Neue nachempfinden, ihm Nachspüren, das ist es. Sich fühlen wie jemand, der/die seine/ihre ersten Bilder macht und sich an ihnen erfreut - Das kann ein ganz großes Erlebnis sein und wichtige Erfahrungen schenken und wenn es nur große
Dankbarkeit für das Geschenk des Fotografierens ist. Lass dich doch auch mal darauf ein!
P.S.: Beim Fotografieren des heutigen Bildes habe ich bei dieser Frau auch diesen Anfängergeist gespürt: Wie ein kleines Kind nähert sie sich barfuß ganz spielerisch den Wasserfontainen. Auch als Fotografinnen und Fotografen können wir mit dem Wasser spielen, Blende und Zeiteinstellungen zeigen das Wasser eines Brunnens oder einen Wasserfall in ganz unterschiedliche Variationen. Spiel doch auch mal wieder damit und freue dich daran wie ein kleines Kind.