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Ganz unten

Mit meinem Spitznamen aus Schulzeit wurde mir schon etwas mitgegeben, was ich in den letzten Wochen des öfteren spielerisch in meiner Fotografie umgesetzt habe. Gerufen wurde ich "Humi", abgeleitet natürlich von meinem Zunamen. Dieses Wort gibt es aber auch im Lateinischen, und das habe ich immerhin vom 5. Schuljahr an gelernt. Ins Deutsche übersetzt bedeutet es "auf dem Boden".

Fotografisch heißt das, das ich an geeigneten Orten einfach meine Kamera auf den Boden stelle, sie ungefähr auf ein naheliegendes Motiv ausrichte und dann auslöse, allerdings ohne im Klappdisplay oder im Sucher  - was ja fast unmöglich wäre - zu kontrollieren. Es wird auch nichts irgendwie arrangiert, damit es passt, ich nehme es wie es ist. Eingestellt habe ich zum Scharfstellen den AF Modus "Weit/Verfolgung", der automatisch nach einem Motiv sucht. Ich mache dann immer mehrere verschiedene Aufnahmen, indem ich die Kamera leicht verschiebe und nutze auch unterschiedliche Objektive vom leichten Tele bis zum Ultraweitwinkel. Auch mit der Blendenöffung experimentiere ich regelmäßig, wobei die Offenblende 1.4 bei meinem 35er und dem 23er natürlich nur einen extrem kleinen Bereich scharfstellt. Wenn das genau passt, hat das eine geniale Wirkung, es gibt aber auch viel Ausschuss.

Besonders spannend an der Sache ist dann aber, dass ich mir die Ergebnisse immer erst zuhause anschaue. Das Zusammenwirken vom Abschätzen eines Motivs und einem gewissen Zufall beim Scharfstellen macht gerade den Reiz aus. Die Resultate überraschen mich immer wieder. 

Dieses Spielerische hat auch gleichzeitig etwas Achtsames, ich schaue jetzt noch öfter mal wieder auf den Boden, nehme noch mehr  Kleines und Feines wahr, und wenn es nur ein dürres interessant verformtes Blatt, ein kleiner Stein oder ein kleiner Grasbüschel im Asphalt ist. Auch die Bohlenwege in St. Peter-Ording oder hier in der Rhön im Schwarzen Moor habe ich schon ausprobiert, sogar Streetphotos habe ich auf diese Weise gemacht - und das immer mit dem spannenden Überraschungseffekt beim ersten Anschauen zuhause.

Ich kann dir nur empfehlen, das auch mal auszuprobieren - wenn du nicht sowieso schon selbst auf diese Idee gekommen bist. Was ich dir aber gleichzeitig nahelegen will, bei dieser Art von  Fotografieren nicht das Klappdisplay zu verwenden, sondern dich mal auf das spielerische Ausprobieren einzulassen.

Um noch einmal auf die Überschrift zurückzukommen: Ganz unten bin ich zum Glück derzeit nicht, erlebt habe ich das aber vor etwas mehr als 10 Jahren bei einem Burnout, mit Depressionen und heftigen Panikattacken. Ich habe vor nie daran gedacht, dass mich so etwas mal erwischen würde, aber da scheint niemand dagegen gefeit zu sein. Zum Glück habe ich einen guten erfahrenen Hausarzt, der mir viel geholfen hat. Nach einigem Suchen habe ich auch einen hervorragenden Neurologen gefunden, mit dem ich inzwischen fast freundschaftlich verbunden bin. Der Therapeut, zu dem ich lange Zeit gegangen bin, war dagegen ein Reinfall.  Sehr geholfen hat mir aber das Achtsamkeitstraining, auf das ich damals gestoßen bin, und es hilft mir bis heute  z. B. bei meinen heftigen unberechenbaren Kopfschmerzattacken. Einen beachtlichen Beitrag leistet auch das Fotografieren,  das sich so genial mit der Achtsamkeit verbunden hat. All das hat mich bisher sehr gut vor einem immer wieder möglichen Rückfall bewahrt.

Mein FB-Freund Holger Dankelmann berichtet in der aktuellen Podcastfolge (50) der "Fotolinsen"
sehr offen und mutig von seinen Depressionen und auch von den Reaktionen seiner Umwelt (https://die-fotolinsen.podigee.io/50-050-ein-erklarungsversuch). Ich kann dir nur empfehlen, dir diesen Bericht einmal sehr genau anzuhören. Vieles davon kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Jede/Jeden von uns kann das treffen, und auch jede oder jeder kann in ihrer/seiner näheren Umgebung damit konfrontiert werden. Der Bericht von Holger kann dann zu einem besseren Verständnis beitragen. Also - höre dir diese Folge auf jeden Fall an!