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(203) Per Pedes

... oder Berlin erlaufen. Ich war mal wieder ein paar Tage in der Hauptstadt. Coronabedingt hatte ich keine große Lust auf volle U- oder S-Bahnen, auch die Tram habe ich nur die Fahrt zwischen Hauptbahnhof und der Wohnung meiner Tochter benutzt. Aber ich hatte sehr große Lust zum Laufen, regelrechten Bewegungsdrang, ich wollte mir die Stadt bzw. Teile von ihr regelrecht erlaufen. Mit der Kamera in der Hand in der ständigen Suche nach Motiven waren das auch sehr achtsame Stadtwanderungen. Und so zog ich jeden Tag meist alleine in eine andere Richtung los und entdeckte dabei sehr vieles.

So war ich zum ersten Mal auf dem Prenzlauer Berg, vorher war das für mich nur eine Stadtteilbezeichnung. Als ich aber unterwegs den Straßennamen "Prenzlauer Berg" las, musste ich diese ansteigende Straße, die hauptsächlich zwischen zwei Friedhöfen verläuft, auch begehen - mit den Füßen erspüren. Die oft alten Friedhöfe Berlins sind in ihrem morbiden Charme und ihren z. T. imposanten Grabmalen meist parkähnlich angelegt. Dadurch sind sie auch grüne Lungen der Großstadt. Natürlich ist der "Prenzlauer Berg" nur ein kleiner Hügel, aber auf der anderen Seite war ich dann überraschender Weise schon am trubeligen Alex, dem zumindest von Döblins Roman bekannten Alexanderplatz. Trubel und Friedhofsruhe liegen hier nicht sehr weit auseinander.

In naher Ferne glänzte dann auch schon die goldene Kuppel des Berliner Doms, also lief ich weiter, ließ mich von meinen Füßen weitertreiben. Am großen Springbrunnen im Lustgarten war durch Sonnenreflexionen je nach Blickwinkel immer wieder ein faszinierender Regenbogen zu sehen, der mich magisch anzog und auch die vielen Menschen um mich herum vergessen ließ. Es war wieder ein ein schöner ruhiger Moment mitten im Trubel.

Den modernen neuen Eingang in mehrere Museen der Museumsinsel, die architektonisch hochgelobte James Simon Galerie (https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/james-simon-galerie/ueber-uns/profil/), wollte ich mir bei dieser Gelegenheit auch einmal anschauen und war doch recht enttäuscht. Dieses moderne Gebäude verdeckt größtenteils die alten und sehenswerten Museumsgebäude. Der neue Eingang dominiert das Bild, nicht die Museen. Die steile, hohe und breite Treppenanlage wirkt auf mich eher hemmend, sie erschwert den Zugang zur Kunst im wahrsten Sinne des Wortes. Darüber ließe sich sicherlich streiten, aber das ist nicht in meinem Sinne. Ich will hier lediglich meinen Eindruck und meine Gedanken dazu schildern.

Über eine weitere allerdings nicht so hohe und lange Treppe habe ich dann die Säulenhalle des Alten Museums erklommen und war wieder vollkommen alleine in diesem prachtvollen und langen Säulengang über dem Trubel des Lustgartens. Durch die Säulen fiel mein Blick dann auf den Berliner Dom, aber auch auf den umstrittenen Neubau des Berliner Stadtschlosses (https://www.berlin.de/sehenswuerdigkeiten/3561341-3558930-stadtschloss.html). Im Hinterkopf hatte ich dabei die schöne große Grünfläche, eine Wiese mitten in der Großstadt, die dort nach dem Abriss des "Palastes der Republik" entstanden war und konnte dem historisierenden Neubau auch nicht viel abgewinnen. Die kontrastierende moderne Rückseite zur Spree hin mit der kahlen und kühlen Platzgestaltung, die ich bei einem früheren Besuch schon einmal bei einer Schifffahrt auf der Spree gesehen hatte, verstehe ich allerdings noch weniger. Dennoch war es interessant, das alles mal im fertigen Zustand zu sehen.

Zurück ging es dann vorbei am Roten Rathaus, am Fernsehturm, durch den S-Bahnhof wieder zum  belebten Alexanderplatz, den ich sehr schnell durch eine ruhige Seitenstraße verließ. Natürlich wollte ich nicht den gleichen Weg zurücklaufen, mein zum Glück recht guter Orientierungssinn führte mich wie geplant zum Märchenbrunnen (https://www.berlin.de/sehenswuerdigkeiten/3559814-3558930-maerchenbrunnen.html) im Volkspark Friedrichshain, einem wunderschönen ruhigen Ort, den ich schon länger kenne. Dort genoss ich die in diesem Sommer so seltene Sonne, es war wieder eine schöne fast meditative Pause voller Achtsamkeit, bevor ich dann 15 Minuten später wieder die Wohnung meiner Tochter erreichte.

Ich bin an diesem Tag rund 14 Kilometer gelaufen, ich habe mir an diesem und an den anderen Tagen jeweils ein Stück Berlin regelrecht erlaufen. Die Abwechslung zwischen Trubel und Ruhe habe ich sehr genossen, es war auch ein Erleben von Achtsamkeit, es gab die stillen Momente und auch Phasen des achtsamen Gehens. Ich bin sehr entspannt und voller interessanter Eindrücke zurückgekommen und freue mich schon auf den nächsten Berlinbesuch, um weitere Teile der Stadt zu erlaufen. Natürlich habe ich auch einiges fotografiert. Motive waren aber eher die kleine Dinge und Auffälligkeiten am Wegesrand, weniger die sogenannten Sehenswürdigkeiten. Und ich habe mich mal wieder in meiner so geliebten Streetfotografie geübt, dabei habe ich bemerkt dass mir dieses fotografische Genre großen Spaß macht, aber auch dass mir die Übung fehlt. Es heißt zwar in einer alten Redensart "Übung macht den Meister", ein Meister werde ich aber sicherlich nicht - weder in der Streetfotografie noch in der Achtsamkeit. Dass Übung notwendig ist, merke ich bei der Achtsamkeit immer wieder, wenn ich mal etwas nachlässig war, bei der Streetfotografie wurde es mir in Berlin aber auch verdeutlicht.