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(217) Verzweiflung, Frust und die Achtsamkeit

Meine über viele Jahre trainierte und hilfreiche Achtsamkeit fällt mir zurzeit verdammt schwer. Die Fotografie leidet auch gewaltig. Grund ist die katholische Kirche, in der ich seit Kindheit aktiv bin.

Angefangen als Ministrant in noch vorkonziliarer Zeit, über langjährige Unterstützung meines Großvaters im Küsterdienst in unserer Pfarrgemeinde, Gruppenleiter in der Jugendarbeit und auch als Jugendvertreter im Pfarrgemeinderat bis hin zum Theologiestudium für das Lehramt. In diesen und den folgenden Jahren durfte ich die positive Aufbruchstimmung durch das 2. Vatikanische Konzil sehr konkret miterleben.

Mit meiner Frau war ich dann über mehrere Jahre in einer Dekanatsgruppe aktiv, die Jugendgottesdienste in verschieden Pfarreien des Dekanats und auch darüber hinaus inhaltlich und musikalisch  mitgestaltete. Mit Erlaubnis unseres Dekanatsjugendselsorgers durfte ich in diesen Gottesdiensten sogar predigen, was schon eine große Herausforderung an mich war. Das waren sicherlich auch Folgen des Konzils, das versuchte neuen Wind in die Kirche zubringen.  Zusammen mit meiner Frau habe ich auch mehrere Jahre im Kirchenchor ihrer Heimatpfarrei mitgesungen, das war auch ein schönes Gemeinschaftserlebnis über Generationen hinweg.

Zusammen haben wir auch mehrfach bei der Erstkommunionvorbereitung in unserer jetzigen Pfarrei mitgewirkt. Ich war auch viele Jahre im Pfarrgemeinderat und als Lektor aktiv, habe Kinderbibeltage initiiert und mitgestaltet, bis es dann zu einem ersten Bruch kam. Wir hatten einen neuen Pfarrer bekommen, mit dem keine sinnvolle und effektive Zusammenarbeit möglich war, der auch sehr direkt unser Angebot bei der Firmvorbereitung mitzuarbeiten, ablehnte, obwohl er noch Hilfe suchte. Er habe keine gemeinsame Basis mit mir, war seine Argumentation. Ich habe daraufhin sehr frustriert meine Arbeit in der Pfarrei eingestellt. Der Pfarrer wurde auch einige Jahre später wegversetzt, weil es weitere Probleme mit ihm gab.

Der neue Pfarrer fragte mich dann wieder bzgl. einer Mitarbeit an, und so war ich bis vor wenigen Jahren im Verwaltungsrat und als Kommunionhelfer aktiv, Kommunionhelfer bin ich immer noch, lasse diese Tätigkeit aber zurzeit coronabedingt ruhen.

Auch beruflich habe ich mich über viele Jahre engagiert und mit viel Freude Religionsunterricht erteilt, war in der Lehrerfortbildung tätig und habe an mehreren hessische Lehrplänen und Unterrichtshilfen für den kath. Religionsunterricht mitgearbeitet. Letztendlich habe ich im Studienseminar auch viele Referendarinnen und Referendare im Fach Kath. Religion ausgebildet.

Glaube und Kirche haben in meinem Leben eine sehr große Rolle gespielt.

 

Verzweifelt und gefrustet bin ich über das, was durch die Missbrauchsgutachten in den letzten Jahren und jetzt aktuell in München ans Tageslicht kam und kommt. Und ich befürchte, dass das bisher nur die Spitze des Eisbergs ist. Dieses immerwährende Vertuschen, dieses ständige Wegsehen, auch die fadenscheinigen sehr seltsamen und abwegige klingenden Argumentationen des Ex-Papstes und die Verlogenheit lassen mich schwer an dieser Kirche zweifeln.

Gerade aus christlicher Sicht ist es mir unbegreiflich, dass man über die vielen Opfer so einfach hinweggesehen hat und immer nur den "guten Ruf" der Kirche und auch der Täter schützen wollte und auch immer noch will. Dass Täter innerhalb der Bistümer und auch darüber hinaus ohne Konsequenzen immer wieder an andere Stellen versetzt wurden kann kaum jemand verstehen.

Dass unser jetziger Papst, den ich ansonsten sehr schätze, die Rücktrittsgesuche mehrerer deutscher Bischöfe nicht annimmt und damit endlich mal ein Zeichen setzt,  ist für mich ebenfalls nicht zu verstehen, zumal er das Gesuch des Erzbischofs von Paris, dem eine Liaison mit einer Frau nachgesagt wird, interessanterweise sofort angenommen hat. Ich habe die Befürchtung,  dass in Rom das Problem des vielfachen weltweiten Missbrauchs noch nicht angekommen ist. Was muss denn noch passieren?

Auch die Pressekonferenz von Kardinal Marx in der vergangenen Woche hat mich sehr enttäuscht,  seine "persönliche" Stellungnahme hat er recht emotionslos und allgemein gehalten vorgetragen. Das Problem der Opfer scheint er immer noch nicht so richtig erkannt zu haben. In der Fragerunde hat er sich mehrfach gewunden, um die geforderten klaren Aussagen zu vermeiden. Ich werde das Ganze weiterhin verfolgen und bin auch sehr gespannt auf die Stellungnahme Benedikts zu diesem Gutachten, die ja noch folgen soll. Ein richtiges ehrliches Schuldeingeständnis und auch das Aktivwerden in anderen Bistümern vermisse ich bisher, es wird immer nur scheibchenweise zugegeben, was nicht mehr zu verleugnen ist.

Mein Vertrauen in die Kirche, genauer gesagt in die Amtskirche habe ich verloren, mein Glaube an Jesus Christus bleibt aber zum Glück. Ich habe schon mit mir gerungen, aber ich will nicht austreten, sondern eintreten für diesen Jesus Christus, der auch immer Mittelpunkt meines Lebens und meiner verschiedenen Lehrtätigkeiten war und hoffe mit dieser Entscheidung meine innere Ruhe, meine Achtsamkeit wiederzufinden. Und auch weiterhin für die „Sache Jesu“ wie es in einem Lied aus meiner Jugendzeit heißt, einzutreten (https://www.youtube.com/watch?v=zjh8h8G0yc0).

 

Das war sicherlich ein sehr ungewöhnlicher Blogbeitrag, aber ich musste mir heute am Sonntagnachmittag nach vielen Gedanken und nach intensivem Lesen im Münchner Gutachten meinen Frust von der Seele schreiben, und das hat gut getan.

 

 

P.S.: Heute Morgen bin ich trotz unwirtlichem Wetter – bei heftigem Schneefall – endlich mal wieder mit meiner Kamera losgezogen. Dabei ist das heutige Bild entstanden, und ich finde es passt zu diesem Beitrag.