Ich war mal wieder einige Tage in Berlin, die Kita unserer kleinen Enkelin hatte geschlossen, Mama und Papa mussten arbeiten.
Wir – meine Frau und ich - haben gerne die kleine Lea
bespaßt.
Dennoch habe ich doch auch einige kleinere Fotowalks unternommen und dabei natürlich auch das 9€-Ticket ausgenutzt. Nach Jahren zog es mich mal wieder auf das ehemalige RAW-Gelände (https://www.tip-berlin.de/berlin-besucher/sehenswuerdigkeiten/raw-gelaende-berlin-besuch-geschichte-infos/)
mit seinem maroden Charme und den vielen Graffitis. Es hat sich einiges verändert, Gebäude sind saniert worden, andere sind mit Baustellzäunen abgesperrt. Das Marode nimmt ab. Dennoch fand
ich es zumindest tagsüber sehr interessant, dann ist es dort fast menschenleer. Nachts muss ich da nicht hin. Ich habe vor Jahren einmal die Menschenmassen erlebt, die vom S- und U-Bahnhof Warschauer Straße in die dort angesiedelten Clubs
strömten. Mehrere natürlich auch mit Graffitis bemalte Geldautomaten sagen über die nächtlichen Umsätze schon einiges aus. Ich bin damals freiwillig auf die andere Straßenseite gewechselt, am
Bahnhof und in der U1 dann aber doch wieder in die Massen geraten.
Auf der Oberbaumbrücke, die mich immer wieder anzieht, war
auch ausnahmsweise wenig los. Dieses Mal wollte ich weder anschließend an
die menschenumströmte "East Side Gallery" (https://www.berlin.de/sehenswuerdigkeiten/3559756-3558930-east-side-gallery.html), noch über die Brücke ins
trublige Kreuzberg. Ich wollte mir endlich
mal die große und bekannte Skulptur des in der Spree stehenden "Molekule Man" (https://bildhauerei-in-berlin.de/bildwerk/molecule-man-4651/) aus der Nähe anzuschauen. Der Weg dorthin
sah eigentlich überhaupt nicht weit aus, zog sich aber am fast
menschenleeren Medienufer wie Kaugummi, dafür aber
in viel Stille. Die Skulptur war aus der Nähe auch sehr beeindruckend, auch wenn ich sie nicht so genau verstehe. Was die Löcher mit Molekülen zu tun haben sollen, aus denen alles
besteht, bleibt für mich sogar als Chemiker rätselhaft. Die Grundidee, diese eigentlich aus drei Figuren bestehende
Skulptur an
der Grenze der drei alten Stadtteile Kreuzberg, Friedrichshain und Treptow zu errichten, verstehe ich da schon deutlich besser. Der Rückweg entschädigte dann immerhin mit schönen Ausblicken auf
die fotogene Oberbaumbrücke. In einem Imbiss direkt an der
Brücke holte ich mir dann noch kleine Stärkung und
unterhielt mich lange mit dem pakistanischen Koch, ein schönes Gespräch, was mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.
In einem weiteren Spaziergang besuchte ich dann den nahegelegenen jüdischen Friedhof in Weißensee (https://www.berlin.de/sehenswuerdigkeiten/3560738-3558930-juedischer-friedhof-weissensee.html),
den größten in Europa. Dieses Ziel hatte ich schon länger im Blick, dort tauchte ich dann in eine vollkommene Stille ein. Währen meines langen Rundganges bin ich nur zwei anderen Personen begegnet. Man weiß bis heute nicht, warum dieser Friedhof die
Nazizeit weitgehend unbeschädigt überlebt hat. Einige größere Mausoleen dienten sogar als Unterschlupf und Versteck jüdischer
Mitbürgerinnen und Mitbürger. Die Atmosphäre unter den hohen Bäumen, durch die immer wieder Sonnenstrahlen auf die alten
Grabsteine fielen, war einzigartig. Es hatte überhaupt nichts Bedrückendes. Ich habe viele interessante Grabinschriften gelesen, viel an Symbolik entdeckt. Größere Mausoleum mit einem gewissen maroden Charme, kleine
Gedenksteine oder schmiedeeiserne Grabmale wechselten sich
ab, recht vieles stammt aus der für mich schon länger künstlerisch interessanten Zeit des Jugendstils. Grabschmuck in Form von Schnittblumen ist im Judentum nicht üblich, weil das tote Blumen sind. Vereinzelt sieht man mal Schalen
mit eingepflanzten Blumen. Ansonsten ist vieles einfach von Efeu überwuchert, was auch ein gewisse Atmosphäre schafft. Ein Friedhof ist in jüdischem
Sinn ein Ort für die Ewigkeit, die Gräber werden nicht nach 25 oder dreißig Jahren neu belegt, wie das ansonsten bei uns üblich ist.
Das etwas Ungeordnete auf manche vielleicht sogar
chaotisch Wirkende eines jüdischen Friedhofs
zog und zieht mich in meiner alten Heimatstadt Worms mit einem der ältesten Judenfriedhöfe Europas schon seit Jahrzehnten
immer wieder in den Bann. So erging es mir auch in Weißensee, mir viel es schwer, diese Stille zu verlassen und wieder in die nahegelegene laute und breite Greifswalder Straße einzutauchen. In der Stille war ich so
richtig bei mir, da habe ich Achtsamkeit, den konkreten Moment ganz tief gespürt. Störende Gedanken waren weit weg.
Aber auch die kleine Lea tat uns allen richtig gut, der kleine Wirbelwind bringt einen immer wieder zum Lachen. Auch meine Kopfschmerzattacken, mit denen ich noch nach Berlin gefahren bin,
sind dort weniger geworden. Dennoch treten sie immer mal
wieder sehr unvermittelt auf und legten und
legen mich für 1-2 Tage lahm. Ich kenne zwar die Ursache, war auch schon bei mehreren Ärzten, aber mit mehr als Schmerzmitteln
lässt sich kaum etwas dagegen tun. Die Achtsamkeit lehrt mich eigentlich
sie anzunehmen wie sie sind, und darauf muss ich
mich wieder mehr besinnen. Es gibt schlimmere Krankheiten. Wenn sie aber dann über Wochen gehen, verliere auch ich die Geduld
und bekomme auch Bedenken wegen der vielen starken
Schmerzmittel. Langfristiges Planen geht in letzter Zeit kaum, aber das lehrt mich auch gute Tage als Geschenk anzunehmen und zu genießen.
Fotografiert habe ich in Berlin natürlich auch, die Bilder werden jetzt nach und nach entwickelt, denn im Haus und Garten gibt es einiges zu tun. Unsere Obstbäume tragen trotz der Trockenheit
Unmengen von Früchten, die geerntet und verarbeitet werden
wollen, auch das ist eine große Freude, und dann durfte ich mit meiner lieben Frau vor einigen Tagen unseren 45. Hochzeitstag feiern. Dass sie es schon so lange mit mir aushält, ist für mich das
größte Geschenk.