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Die unverhofft Schöne

16 Personen unter einen Hut zu bekommen, ist nicht so einfach. Wir haben es wieder mal geschafft. Seit vielen Jahren gehen wir noch mit unserem Freundeskreis einmal im Jahr auf eine mehrtägige Städtetour. Die Vorbereitung mit Programmplanung, Hotelauswahl, Zugbuchung, Auswahl der  abendlichen Gaststätte, usw. liegt in der Regel bei einem Paar. Warum wir diesjährige Stadt ausgewählt hatten, wusste keiner von uns mehr so genau. Zur persönlichen Vorbereitung hatte ich mir einen kleinen Stadtführer gekauft und habe nach dessen Studium nicht allzuviel erwartet. "Alles Barock!" war mein erster Gedanke, und davon haben wir ja schon im heimischen Fulda mehr als genug. Da ich die Romanik und die Gotik liebe, ist der Barock nicht so mein bevorzugter Baustil. Das Wichtigste ist aber sowieso das Zusammensein. 

Als erstes ging es dann zum Dom, natürlich Barock. Außen kontrastierte die schneeweiße Fassade noch recht schön mit dem strahlend blauen Himmel.  Das Innere war aber mit Stuckverzierungen, Figuren, Gemälden, Gold und Engelchen mehr als überladen. Die wenigen Bilder, die ich dort machte, haben eher dokumentarische Bedeutung.

Durch einen engen Durchgang ging es aber dann vom eher kargen Domplatz zu einem überraschend schönen dreieckigen Platz mit fast schon italienischem Flair. Ein großer Brunnen in der Mitte, außen herum schön alte Häuser, altes Pflaster und zahlreiche Cafés verliehen ihm einen überraschenden Charme. Dann ging es weiter in die Altstadt, und ich war hin und weg: enge alte Gassen und Gässchen, die vom höher liegenden Dom z. T. recht steil zum Wasser hinunter führen. Ich kam regelrecht in einen Fotografierrausch. Da die Stadt nicht sehr groß ist, kam ich auch an den Folgetagen mehrfach in diesen Stadtteil. Und jedes Mal musste ich wieder fotografieren. Das Ambiente faszinierte mich immer wieder.

Beim Bildersichten zuhause sah ich dann die Folgen. Ich hatte alles doppelt und dreifach fotografiert. Störendes war mir nicht so deutlich aufgefallen, so stand in einer Gasse an allen drei Tagen eine Mülltonne herum, oder eine Häuserwand war mit einem unschönen Graffiti beschmiert, usw.. Auch waren nicht alle Gassen gleich schön, es gab auch welche mit einfachen Zweckbauten. Die klare Erkenntnis war wie beim Alkohol, ein Rausch hat weniger gute Folgen. Nach fleißigem Löschen blieben von diesem mehrfachen Rauschzustand nur einige wenige gute Bilder übrig. Achtsames Fotografieren war das nicht, und das ist mir wieder eine Lehre. Vermutlich war ich durch die niedrige Erwartung an diese Stadt so extrem überrascht, dass ich mich nicht bremsen konnte. Das Löschen ist dabei nicht das Schlimmste. Bei einigen Bildern wären ein Schritt zur Seite oder nach vorn sehr sinnvoll für einen optimalere Bildgestaltung gewesen. Achtsamkeit heißt für mich aber auch, dem nicht nachzutrauern, sondern daraus zu lernen und mich an den wenigen guten Bildern zu erfreuen, die ich gemacht habe.

Auch einen doppelten Perspektivwechsel habe ich dort sehr intensiv erlebt. Von einer auf der anderen Flussseite hochgelegenen Burg gab es einen fantastischen Blick auf die Stadt und die sie hier umschließenden Flüsse Donau und Inn, die hier zusammenkommen. Es handelt sich um die Dreiflüssestadt Passau, der dritte Fluss ist die Ilz, die hier auch in die Donau mündet. Von dort oben - von der Festung - bildet die Stadt mit dem sie überragenden barocken Dom eine für mich  überraschend gelungene Einheit. Fasziniert hat mich aber besonders der Zusammenfluss von Donau und Inn, die noch eine geraume Strecke ihre je eigene Färbung behalten. Das alles war von dort oben so schön, dass es auf keinem Bild so festgehalten werden kann. Auch wieder eine Lehre: Es gibt Blicke, die ich nicht auf der Festplatte, sondern nur in meinem Inneren speichern kann. Diesen Blick werde ich so schnell nicht vergessen. Das war sicherlich ein extremer Perspektivwechsel, aber genau dieser andere Blick ist auch beim Fotografieren so wichtig. Aus einer anderen Sicht erfährt ein Objekt auch eine intensivere  Begegnung.

Zu einer positiveren Einstellung zum überladenen barocken Dom trugen noch zwei weitere Erlebnisse bei. Am Freitagabend gab es eine großartige mit passender Musik untermalte Bildprojektion auf die weiße Fassade des Doms, zu dessen Geschichte. Die 20 Minuten vergingen wie im Flug, da hätte ich noch länger zuschauen können. Bewährt hat sich hier wieder einmal meine Fuji, ISO 6400 und Belichtungszeiten um 1/10 s aus freier Hand verkraftet sie perfekt. Die entstandenen Bilder faszinieren. Drei Bilder davon finden sich in meinem Facebookaccount (https://www.facebook.com/wilfried.humann.52). Das zweite Erlebnis war ein Orgelkonzert der weltweit größten Kirchenorgel. Im gut gefüllten Dom konnte ich es weitgehend mit geschlossenen Augen wirken lassen. Das hatte etwas Achtsam-Meditatives. Auch der so überladene Dom wirkt danach auf mich danach nicht mehr so schrecklich.

Wider Erwarten ist Passau eine wunderschöne und sehr sehenswerte Stadt, die ich ohne Überlegen sofort wieder besuchen würde. Das gemeinsame Erleben der Stadt, die gemeinsame Freude, die vielen Gesprächen und die schönen Abende in gut ausgewählten Gaststätten bei vorzüglichem Essen und dem in Bayern dazugehörigen guten Bier (wo ich doch eher Weintrinker bin) - alles war einfach schön und perfekt vorbereitet. Ich freue mich schon auf unsere Tour im nächsten Jahr zu einem noch unbekannten Ziel.