Gerhard Richter, einer der bekanntesten deutschen Künstler, hat auf einigen seiner Gemälden in faszinierender Weise mit der Unschärfe gespielt, sie wirken wie leicht unscharfe Fotografien. Für
mich sind sie Meisterwerke seiner Malkunst. Sie sind auch eine klare Anforderung an unsere Sehgewohnheiten.
Leicht unscharfe Fotografien dagegen gelten in der Regel als fehlerhaft oder bestenfalls als experimentell. Sie erinnern höchstens noch an alte Lochkamerabilder. Dennoch reizen sie mich. Mal
sehen, ob ich auch in dieser Richtung experimentiere. Mir schweben z. B. bekannte Bauwerke vor, mit dezent leichter - aber erkennbarer Unschärfe festgehalten. Dieses irgendwie andere
Fotografieren hat für mich viel mit Entdecken, mit Anfängergeist zu tun.
Zum Spiel mit der Unschärfe zählt für mich aber auch das Fotografieren mit sehr eng begrenzter Schärfe. Ich habe mir vor kurzem das Fujifilm 56mm, 1.2 angeschafft, eines der besten Objektive
dieses Herstellers. Natürlich reizt es mit dieser Offenblende zu fotografieren. Eigentlich kauft man ein solches Objektiv auch vor allem deswegen. Für mich war es eine neue Herausforderung, die
zwar auch Enttäuschungen mit sich brachte, aber vor allem viel Spaß gemacht hat und natürlich auch noch macht.
Eigentlich ist es auch von der Brennweite her vor allem ein Porträtobjektiv. Es bildet ein schönes Bokeh, die Schärfe muss sehr genau sitzen, entsprechend der Regel: vorderes Auge. Eine scharfe Nase bring's nicht, wenn die Augen unscharf sind. Wenn du's nicht glaubst, probiere es aus. Für Porträts habe ich es inzwischen auch schon recht intensiv und auch erfolgreich genutzt.
Aber ich habe es bei einer Fotochallenge und in Beelitz in auch für andere Motive verwendet und dabei bzw. aus den Ergebnissen einiges gelernt. Die extrem enge Schärfe gerade bei Nahaufnahmen muss sehr genau sitzen, sonst wirkt das Bild nicht. Bei einigen Bildern ist mir das gelungen, aber gerade bei dem Bild, das ich im Sucher als besonders gut empfunden hatte, musste ich am heimischen Bildschirm mit Enttäuschung feststellen, dass die Schärfe leicht daneben lag. Dieses Bild hatte als Motiv eine alte Leiste mit Kleiderhaken, die Schärfe sollte genau auf dem dritten Haken sitzen und der große Rest unscharf bleiben. Die Schärfe sitzt zwar nur wenige Millimeter daneben, die erhoffte Wirkung war weg. Da blieb leider nur Löschen. Konsequenz ist natürlich bei einem solchen Motiv, mehrere Aufnahmen zu machen, in der Hoffnung, dass eine sitzt - oder vielleicht doch besser gleich ein Stativ zu verwenden.
In der Streetfotografie lässt die Offenblende sehr viele Spielereien zu, da bin ich noch mit großem Spaß am Experimentieren. Hier kann ich ganz andere Schwerpunkte setzen als bisher mit meinen Zoomobjektiven mit geschlossenerer Offenblende und viel mehr Tiefenschärfe. Spannend ist auch, die Schärfe an eine ungewohnte Stelle zu setzen und die Unschärfe im Hauptblickfeld zu verwenden. Das Bild eines bekannten Streetfotografen, das ich vor einigen Tagen gesehen habe, erzeugte so eine höchst verblüffende Wirkung, die mich lange hinschauen lies.
Was lerne ich daraus: Mit noch mehr Konzentration, mit noch mehr Achtsamkeit ans Werk zu gehen, einem leider misslungenen Bild nicht nachtrauern. Achtsamkeit heißt ganz konkret nicht an Vergangenem zu hängen. Experimentieren - und so nenne ich das Fotografieren mit einem für mich neuen Objektiv - führt auch immer wieder zu Fehlern oder schlechten Ergebnissen. Aus meiner pädagogischen Herkunft weiß ich, dass man aus Fehlern lernen kann und soll.
Mir macht das Spiel mit der Unschärfe gerade mit diesem neuen Objektiv sehr viel Spaß, also auf ein Neues!