Gestern Abend schlug meine Frau vor, noch eine Runde durch den Wald zu drehen. Ich habe bewusst meine Kamera zuhause
gelaufen, was bei mir sehr selten vorkommt. Der Grund ist ganz einfach zu erklären: Meine Frau - die beste Ehefrau von allen - hat einen schnellen Schritt drauf, den ich zwar mithalten kann - aber wenn ich zum Fotografieren stehen bleibe,
muss sie entweder stehen bleiben, oder ich muss hinterher rennen, was ich wegen meiner
Hüftprothesen eigentlich nicht sollte. Hinzu kommt allerdings auch, dass ich in den letzten Monaten coronabedingt sehr oft durch
diesen Wald vor der Haustür gelaufen
bin und natürlich auch die Kamera immer dabei hatte. Irgendwie hatte ich fast das Gefühl, dass ich dort sowieso schon
fast jeden Baum fotografiert habe.
Aber schon auf dem kurzen Weg zum Waldeingang fiel mir das flirrende Abendlicht auf einer noch nicht gemähten Wiese direkt ins Auge. Die Gräser glitzernden regelrecht im Gegenlicht. Im Wald fiel dann wider Erwarten doch noch die schon tiefstehende Sonne zwischen Bäumen durch. Es gab höchst interessante
Lichtflecke auf dem Waldweg, auch an Bäume zeigten sich schöne Lichteffekte. Gerade beim Blick nach unten ins Tal machte sich die Sonne, das herrliche
Gegenlicht, noch stärker bemerkbar. Es gab wunderschöne spannende Licht-, Schatteneffekte. Der Wald war so fotogen, es
waren herrliche Momentaufnahmen, die
ich mit den Augen festhielt und auch in mir abspeicherte.
Im ersten Moment habe ich mich noch
geärgert, dass ich die Kamera ausnahmsweise mal zuhause gelassen hatte. Aber dann habe ich bemerkt, dass diese spannenden Bilder mir auch so – oder vielleicht noch intensiver - ins Auge sprangen. Ich konnte die flotte Runde
durch den Wald in voller Achtsamkeit und mit tiefem Staunen erleben. Gerade dieser so bekannte Weg zeigte sich mir so intensiv in einem neuen Blick. Die Bilder sind auch jetzt beim Schreiben noch in mir, ich sehe sie direkt vor meinen Augen. Vielleicht haben
sie sich sogar tiefer eingeprägt als wenn sie auf meiner Festplatte gelandet wären.
Es war mal wieder eine tiefe Erfahrung, ein intensives Erleben des so vertrauten Waldes wie selten zuvor oder vielleicht wie schon länger nicht mehr. Das Suchen nach Motiven mit der Kamera
ist zu einem direkten Finden solcher
Motive geworden. Mir sind so viele ins Auge gesprungen, ich habe auch viele Kleinigkeiten entdeckt, die ich vermutlich nicht fotografiert hätte, die aber dennoch höchst spannend waren. Vermutlich
hätte ich auch die Dynamik in diesem Licht-Schatten-Kontrast mit dem Sensor der Kamera so intensiv überhaupt nicht festhalten können. Unsere Augen schaffen da doch deutlich mehr. Meine Frau
musste nicht auf mich warten, ich
brauchte nicht zu rennen, und ich habe dennoch diese Bilder erlebt – meine Festplatte hat das ganze auch noch
geschont. Diese „inneren“ Bilder prägen sich vielleicht auch tiefer ein als die mit der Kamera gemachten, die ich mit dem Abdrücken abhaken kann. Ich werde das auf jeden Fall immer mal wieder
machen, in der Regel wird aber doch meine Kamera dabei sein, weil ich viel zu gern fotografiere. Außerdem kann man diese schönen „inneren“ Bilder leider nicht in den sozialen Medien teilen, was
ich natürlich auch gerne mache. Vielleicht probierst du aber auch mal das Fotografieren ohne Kamera, die Achtsamkeit ist da sicherlich auch dabei.
P.S.: Es gab hier vor einiger Zeit schon einen Beitrag zum Fotografieren ohne Kamera (https://fotografie-und-achtsamkeit.jimdofree.com/2021/02/12/185-fotografieren-ohne-kamera/). Das heutige Bild zeigt auch einen Impression aus dem Wald vor unserer Haustür, aber natürlich keine ganz aktuelles.